Von der Ehre eines Straßennamens

Der Mahlerweg auf der Kühner Höhe bleibt der Mahlerweg. Eine Umbenennung ist vom Tisch. An dem Weg wird zwar auch in Zukunft niemand wohnen. Nach dem Einbecker Maler Franz Cestnik (1921-2011) soll aber stattdessen jetzt ein Parkplatz in der Innenstadt benannt werden, der nur wenige Schritte vom Geburtshaus des Künstlers entfernt liegt, der in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre. Nach Rücksprache mit der Familie hat Ratsherr Alexander Kloss (parteilos) seinen Antrag noch einmal verändert, der jetzt im Kulturausschuss zur Entscheidung steht (Dienstag, 16. März, 17 Uhr, Online-Sitzung, Zugangsdaten unter stadtverwaltung@einbeck.de).

Parkplatz an der Ecke Wolperstraße/Judenstraße, der zum Franz-Cestnik-Platz gewidmet werden soll.

Auch die Änderung des Mahlerwegs in Cestnikweg hätte Charme gehabt. Unterstützer der neuen Variante mit dem Parkplatz können nun jedoch ins Feld führen, dass hier nicht nur die Nähe zum Geburtshaus in der Wolperstraße 25 und zum großen Wandbild „Cestnik kennt jeder“ gegeben ist, das im vergangenen Sommer eingeweiht worden ist. Wenn die Stadt ihren Parkscheinautomaten umprogrammiert und auch Navigationssysteme soweit geändert und sogar Google die Veränderung registriert hat, ist künftig eine zielgenaue Navigation zum Franz-Cestnik-Platz möglich, und dieser Name steht dann auch auf den Parkscheinen, freilich auch auf Knöllchen.

Bislang liegt dieser Parkplatz (auch auf Parkscheinen und Strafzetteln) hinter dem großen Wohnkomplex Lange Brücke 9-11 an der Judenstraße, welche die Wolperstraße und Lange Brücke verbindet. Dieser erst vor mehr als 30 Jahren wiederhergestellte, historische Straßenname, der einst hart von der früheren SPD-Ratsfrau Irmela Kirleis erkämpft worden war, steht nicht zur Disposition, die wenigen Anlieger müssen keine Veränderung fürchten. Das wäre auch kein gutes Zeichen, die Judenstraße abzuschaffen.

Ein gutes Zeichen wäre es, die Taufe der bislang namenlosen Parkfläche noch bis zum 100. Geburtstag des Einbecker Malers zu realisieren. Das müsste bei gutem Willen machbar sein, dürfte auch der formelle Beschluss erst in der Ratssitzung am 23. Juni getroffen werden. Wichtige Vorbereitungen könnten nach einem deutlichen (einstimmigen) Signal aus dem Kulturausschuss sofort beginnen.   

Aber es geht nicht allein um einen Franz-Cestnik-Platz. Der ursprüngliche Antrag von Ratsherr Alexander Kloss geht deutlich weiter, möchte er doch eine Namensliste mit Einbecker Persönlichkeiten erstellen, nach denen neue Straße künftig benannt werden können. Und wer die Unterlagen für die Kulturausschusssitzung sorgfältig liest, entdeckt einen Hinweis, dass sich die Stadtverwaltung damit nicht zufrieden geben will.

Ich begrüße ausdrücklich die Ankündigung aus der Verwaltung, einmal alle vorhandenen Straßennamen auf ihre Entstehung zu überprüfen. Schon vor einiger Zeit habe ich mir so etwas gewünscht, auch nochmals im Zusammenhang mit dem Ehrenmal am Kirschenberg im vergangenen Jahr. Vielleicht waren einige schon zu matt und müde geworden, um eine solche Debatte noch anzustoßen. Und mit dem neu gewählten Stadtrat im Herbst kommt dann vielleicht zusätzlich ein bisschen frischerer Wind auf für dieses Thema. Klar ist: Einfach wird eine Diskussion über Straßennamen nicht. Es wird Widerstände geben. Je mehr mächtige Menschen in von einer möglichen Umbenennung betroffenen Straßen wohnen, desto ungemütlicher könnte die Diskussion werden. Muss sie natürlich nicht. Vielleicht wird sie von Anwohnern sogar inhaltlich bereichert.

Schnell wird in der Öffentlichkeit nun das Argument auftauchen: Gibt es aktuell nichts Wichtigeres als Straßennamen? Doch, es gibt viele wichtige Themen in dieser Stadt. Aber Kommunalpolitik besteht nun mal nicht nur aus Feuerwehr, Kita, Schule und Straßenbau. Es muss auch möglich sein, über Themen zu sprechen, die über den Tag hinaus gehen. Ansonsten kann sich der Kulturausschuss gleich komplett abschaffen.

In Mode sind nach Persönlichkeiten benannte Straßen übrigens erst seit dem 19. Jahrhundert. In dieser Zeit wuchsen die Städte über ihre Mauern hinaus, neue Wohngebiete und Chausseen wurden angelegt, auch in Einbeck. Bis dahin hießen die Wege und Plätze nach Gemarkungen, nach ihrer Funktion oder nach Pflanzen oder Tieren. Die Ehre, einer Person eine Straße zu widmen, gibt es erst seit gut 150 Jahren. Die Motivationen waren dabei durchaus unterschiedlich.

Es wird über einige Namen zu sprechen sein. Ich nenne nur mal beispielhaft ein paar Persönlichkeiten, nach denen in Einbeck und in seinen Ortschaften Wege und Straßen benannt sind. Welche mal mehr oder mal weniger auch zweifelhafte Episoden in ihrem Leben hatten, die aus heutiger Sicht kritikwürdig sein können oder müssen. Dr. Kurt Heinrichs, Paul von Hindenburg, Fritz Mackensen, Carl Diem, Agnes Miegel, Hermann Löns, Heinrich Sohnrey  – bei all diesen Beispielen werden sich Schriften, Äußerungen oder Taten finden lassen, die aus dem Blickwinkel von heute nicht mehr zu einer Straßenbenennung führen würden. Ein Blick in die Wikipedia-Enzylopädie (bei aller Vorsicht) hilft hier auf die Schnelle bereits weiter.

Aber es wäre mir viel zu billig, nun in Bilderstürmerei zu verfallen und einfallslos das Abnehmen der Straßenschilder zu verlangen. Niemand würde auf den Gedanken kommen, Martin Luther von Straßen- oder Platznamen zu verbannen. Obwohl Luther heftig antisemitische Schriften verfasst hat, aber eben nicht nur. Sondern er war vor allem ein Reformator, der die Welt aus ihren damaligen Angeln hob.

Jeder Weg und jede Straße wurden zu bestimmten Zeiten benannt, diesen zeithistorischen Zusammenhang muss man in der Diskussion unbedingt berücksichtigen. Und vor Ort vielleicht vielfach nur durch ergänzende Informationen der Umstände erläutern. Die für 2022 von der Stadtverwaltung angekündigte Übersicht wird das wahrscheinlich gut deutlich machen. Der Carl-Diem-Weg beispielsweise wurde angelegt, weil sich die Sportanlagen in der Nähe befinden und der Weg den Sportfunktionär ehren soll. Dass Diem im Nationalsozialismus flammende Reden und Durchhalteparolen ausgab, gehört auch zu seinem Leben. Die Agnes-Miegel-Straße ist nur in einer Reihe zu sehen mit den benachbarten Dichter-Straßen, benannt nach Klopstock, Hölderlin und Uhland. Dass Agnes Miegel treueste Gefolgschaft für Hitler gelobte, gehört aber eben auch zum Leben der Schriftstellerin aus Ostpreußen. Die Dr.-Heinrichs-Straße in Andershausen ist nach dem Einbecker Landrat der Nazizeit benannt, weil er sich für die Straße nach Andershausen eingesetzt hat, die 1935 vom Reichsarbeitsdienst gebaut wurde.

Über Hindenburg hat der Zeithistoriker Hans-Ulrich Thamer einen bemerkenswerten Aufsatz geschrieben (hier im Orignal zu lesen). Der Professor aus Münster, bei dem ich selbst noch studieren durfte, äußert sich auf acht lesenswerten Seiten zur Debatte in Münster und die Benennung (und letztliche Umbenennung) des großen Hindenburgplatzes vor dem Schloss. Dabei muss man wissen, dass der Aufsatz, der auch im benachbarten Northeim jüngst gerne in der Diskussion über deren Hindenburgstraße zitiert wurde, inzwischen zehn Jahre alt ist. Und vor allem ist Thamers Aufsatz kein eindeutiger Kronzeuge – und zwar weder für eine Umbenennung noch für eine Beibehaltung des Hindenburg-Straßennamens. Leider haben Kommunalpolitiker in Northeim immer nur die Passage zitiert, die ihnen politisch in den Kram passte. Hans-Ulrich Thamer spricht sich gerade nicht für oder gegen Umbenennungen aus. Sein Schlusssatz lautet: „Bei beiden Varianten bestünde die Chance, aus der Geschichte von Straßennamen so etwas wie ein begehbares Geschichtsbuch zu machen, wohlwissend, dass Geschichtsbewusstsein immer auch zeitgebunden und ambivalent ist.“

Nachtrag 17.03.2021: Der Kulturausschuss hat nach kurzer Aussprache einstimmig empfohlen, den öffentlichen Parkplatz in der Judenstraße in der Kernstadt als Franz-Cestnik-Platz mit Blick auf das laufende Cestnik-Jahr schnellstmöglich zu benennen. Bei der Vergabe neuer Straßennamen sollen Einbecker Persönlichkeiten künftig stärker berücksichtigt werden, die Verwaltung ist beauftragt, bis 12/2021 einen Katalog mit potenziellen Namensgebern zu erstellen. Zudem sollen laut der Beschlussempfehlung des Kulturausschusses bereits existierende Straßennamen in Kernstadt und Ortschaften historisch-kritisch anhand eines Kriterienkatalogs geprüft werden; dazu soll es im Laufe des Jahres 2022 einen Ergebnisbericht geben. Abschließend muss über diese Ausschussempfehlung nun noch der Stadtrat entscheiden. René Kopka und Joachim Dörge als Vertreter von SPD und CDU hatten vor dem Beschluss Rückenwind für den Antrag signalisiert. Antragsteller Alexander Kloss (parteilos) freute sich über das einstimmige politische Signal. Die Vorschlagsliste mit Namen könne „eine fundierte Grundlage sein, aus der wir schöpfen können“, und er sei gespannt, welche Namen dort auftauchen werden. Von der historisch-kritischen Überprüfung erhofft sich Alexander Kloss für den künftigen Stadtrat „eine fundierte Handlungsempfehlung“, wie beispielsweise Possen wie in Northeim vermieden „und gleichzeitig historisch bedenkliche Namen aus unserem Straßenregister verbannt werden können“, sagte Kloss.